Rein äußerlich betrachtet scheint das Smartphone ein Segen für die nach Individualismus strebende, jüngere Generation zu sein: Zu jeder Zeit an nahezu allen Orten des Globus erreichbar sein, das Leben mit online-Einkäufen, mobile-banking, social-media usw. managen und dabei gleichzeitig mobil bleiben. Das Gerät in der Hand ist für viele zum guten Freund und täglichen Begleiter, nahezu wie ein Teil des eigenen Selbst geworden. Die Mobilfunkindustrie bedient dieses Bedürfnis und gibt vor, ganz nach den Wünschen der Kundschaft den Netzausbau inklusive neuer Technologien voranzubringen.
Gleichzeitig zeigt sich die Paradoxie für das Individuum: scheinbare individuelle Freiheiten werden erkauft dadurch, dass der gute Freund einem immer mehr Aufmerksamkeit abverlangt. Den Wunsch nach persönlicher Entfaltung im Leben und einem Weitwerden für die Welt beantwortet der Markt damit, dass er einem einen winzigen Bildschirm zur Hand gibt, der sich immer mehr zwischen den "Nutzer" und die Welt schiebt. Die Welt, in der man sich entfalten möchte, wird am Ende ersetzt durch die Spiegelwelt des Smartphones.


Der schon fast unheimlichen Erfolgsgeschichte des Mobilfunks müssen im Inneren des Menschen Voraussetzungen zu Grunde liegen, die diesen Erfolg erst ermöglicht haben. Hier wundert man sich viel zu wenig, wie kritiklos die Technik angenommen wird, wie wir uns gleichzeitig mit immer höheren Frequenzen und stärkeren Intensitäten des elektromagnetischen Spektrums durchsetzen lassen, und wir gar nicht gefragt werden, ob wir das überhaupt wollen. Wir "glauben" den Verantwortlichen aus Politik, Strahlensicherheit und Industrie, dass alles seine Richtigkeit hat. Wir bilden uns gar keine eigene Anschauung zum Elektromagnetismus und wir wollen uns ja scheinbar auch gerne von den vielen neuen Anwendungen durchs Leben steuern lassen. Einige untergründige, lebensverneinende Gefühle sind in diesem Zusammenhang wahrnehmbar:

 

1. Einer kompliziert gewordenen, globalisierten, technisierten, undurchschaubaren Welt steht das vereinzelte Individuum mit einem gewissen Gefühl der Überforderung oder Ohnmacht gegenüber. Ein kleines Beispiel kann dies verdeutlichen: Mein Großvater konnte noch mit wenig Fachwissen und handwerklichem Geschick ein Radiogerät selbst reparieren. Die Elektronik war vor 60 Jahren relativ überschaubar und die Logik der Verschaltung vom Verstand nachvollziehbar. Wenn eine Verstärkerröhre durchbrannte, konnte man sich eine neue kaufen und ersetzen. Heute sind die Bauteile tausendfach komplexer, ins unsichtbare miniaturisiert und unzugänglich verkapselt. Eine Reparatur oder gar ein Durchschauen der inneren Logik eines heutigen Radioempfängers, schon gar eines Digitalradios, ist für Laien nicht mehr möglich. Es ist ein Gefühl wahrnehmbar, das in etwa spricht: "Du als einzelner Mensch kannst nichts bewirken, du bist unbedeutend im Weltgeschehen, und die großen Taten die notwendig wären, sind für dich zu schwierig." Dem Smartphone-Nutzer wird dagegen eine kinderleichte Benutzeroberfläche angeboten. Diese wird für ihn zur Schnittstelle für die richtige Welt und sogar zum Zufluchtsort, wenn er in dieser Welt nicht mehr zurechtkommt.

 

2. Eine weitere Stimme einer modernen halb-wissenschaftlichen Überzeugung spricht: "Dein Denken ist eine Illusion, es ist nur eine Projektion deines Gehirns. Es ist determiniert durch dein bisheriges, vergangenes Leben und Lernen und deshalb wird es nichts wirklich Neues hervorbringen. Die Gedanken der großen Philosophen sind auch nur vom Zeitgeist bestimmt und damit unbrauchbar für dein zukünftiges Leben." Dadurch wird der aktiven, gestaltenden Gedankenbildung des Individuums und dem Gedankenaustausch in der Gesellschaft keine angemessene Bedeutung mehr gegeben. Man kennt es nicht, dass Menschen miteinander über Stunden hinweg zentriert an einem Gedanken im gegenseitigen Wahrnehmen arbeiten. Dadurch könnte erst ein langsames Verstehen der Innenwelt des Gegenübers wachsen und bloße Meinungen oder Differenzen in der Anschauung überwunden werden. Allzu oft ist gar nicht mehr der Wille und die Spannkraft auffindbar, dass man aus seiner subjektiven Welt zu einer objektiven Betrachtung kommt. Das Smartphone ist dazu gegenteilig konzipiert. Es erlaubt nur "Short-messages" und "WhatsApp" - kurze Infos auszutauschen was gerade los ist. 

 

3. Der Verlust an Gedankenbildekraft wird leicht kompensiert mit der nächsten Suggestion: "Am wichtigsten im Leben ist die Verwirklichung deiner eigenen Gefühlszufriedenheit." Hier erlaubt das Smartphone im Zusammenwirken mit der schnellen Netzwerktechnologie bekanntlich sehr schnell und auf einfache Weise eine Konsumbefriedigung. Mit Musik, Videos, Spielen und Einkaufen in Online-Shops lassen sich alle Begehren mühelos umsetzen.

 

4. Die vorgenannten Schritte, dass das Selbstwertgefühl reduziert wird, das Vertrauen in die Realität der eigenen Gedankenbildung einem abgesprochen wird und schließlich dass die Aufmerksamkeit viel zu sehr auf die subjektive Innenwelt der körpergebundenen Gefühle zentriert wird, all dies schließt den vereinzelten Menschen zunehmend in sich ab. Er ist vom Bewusstsein nicht mehr offen mit Interesse zu den Mitmenschen und den Abenteuern des Lebens ausgerichtet, sondern zieht sich in eine Art innere Leere zurück, die dann wieder durch die Bildschirmwelt kompensiert wird. Psychologen und Neurologen sprechen auch von einem Verlust der Empathiefähigkeit. Das soziale Umfeld wird durch die digitale Kommunikation viel eingeschränkter wahrgenommen als wenn man sich direkt gegenübersteht. Diese innere Leere und Abgespaltenheit kippt nun sehr leicht in eine fatale, trotzige Haltung zum Leben, die für das Umfeld schwerwiegende Konsequenzen haben kann wenn der Einzelne sagt: "Ich finde keine rechte Freude oder Erfüllung mehr in meinem Dasein und da meine Lage so aussichtslos erscheint, will ich auch andere in meine Aussichtslosigkeit mit hineinziehen. Ich ertrage es nicht, wenn es anderen Menschen besser geht und ich freue mich insgeheim, wenn sie auch im Leben scheitern, denn dann scheint meine Einsamkeit erträglicher zu sein." Die Lebensverneinung steigert sich bis zu einer zerstörenden Kraft, wenn sämtliche Verantwortung für die Mitmenschen, eine sinnvolle Aufgabe oder den eigenen Beruf abgegeben werden. Sie äußert sich nach außen zum Beispiel in einem irritierenden Lügenspiel, in falschen Versprechungen, die zu einem Energieverlust bis hin zu Krankheiten führen können. Sehr häufig wird die Verantwortung die man in Wirklichkeit hätte, abgegeben, sodass andere im Regen stehen müssen.